Beitragsbild zum Stuttgarter Verfahren

Stutt­gar­ter Verfah­ren: Histo­rie, Berech­nung und aktuel­le Relevanz

Das Stutt­gar­ter Verfah­ren war eine Metho­de zur Ermitt­lung des Unter­neh­mens­werts, die insbe­son­de­re in der Vergan­gen­heit für steuer­li­che Zwecke einge­setzt wurde. Ursprüng­lich entwi­ckel­te sich dieses Verfah­ren als Schät­zungs­me­tho­de zur Bewer­tung von Antei­len nicht börsen­no­tier­ter Kapital­ge­sell­schaf­ten. Dabei spiel­te es eine zentra­le Rolle in der Erbschaft- und Schen­kung­steu­er, wie sie in den alten Geset­zes­stän­den (§ 12 Abs. 2 ErbStG a.F. i.V.m. § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG a.F.) Anwen­dung fand. Die Erbschaft­steu­er-Richt­li­ni­en (R 96 ff. ErbStR 2003) regeln diese Bewer­tungs­me­tho­de, die über viele Jahre als Standard zur steuer­li­chen Business valua­ti­on galt – bis Ende 2008.

Das Verfah­ren basiert auf dem Grund­prin­zip eines Überge­winn­ab­gel­tungs­ver­fah­rens. Anders als bei rein ertrags- oder substanz­wert­ba­sier­ten Ansät­zen wird hier der Wert eines Anteils als Summe aus der Vermö­gens­sub­stanz und einem Aufschlag für überdurch­schnitt­li­che Gewin­ne verstan­den. Typischer­wei­se wurde ein begrenz­ter Zeitraum von fünf Jahren heran­ge­zo­gen, um die erwar­te­ten Überge­win­ne zu berech­nen. Die Finanz­ver­wal­tung in Stutt­gart, basie­rend auf BFH-Recht­spre­chung, entwi­ckel­te diese Metho­de, um eine möglichst einheit­li­che und verein­fach­te Bewer­tung für steuer­li­che Zwecke zu errei­chen. Trotz der inten­si­ven Nutzung in der Vergan­gen­heit wird deutlich, dass das Verfah­ren eng an spezi­fi­sche fiska­li­sche Bedürf­nis­se gekop­pelt war – was auch ein Grund für die nachfol­gen­de Kritik und Abschaf­fung darstellte.

Die histo­ri­sche Bedeu­tung des Stutt­gar­ter Verfah­rens liegt in seiner Rolle als Pionier für die standar­di­sier­te Unter­neh­mens­be­wer­tung im steuer­li­chen Kontext. Es prägte über Jahrzehn­te die Art und Weise, wie Unter­neh­men und deren Antei­le bewer­tet wurden und trug wesent­lich zur Verein­heit­li­chung der Bewer­tungs­pro­zes­se bei.

Die Berech­nung nach dem Stutt­gar­ter Verfah­ren: Formel & Beispiel

Die Berech­nung des Unter­neh­mens­werts nach dem Stutt­gar­ter Verfah­ren erfolgt in drei klar struk­tu­rier­ten Schrit­ten, die jeweils unter­schied­li­che Aspek­te der Unter­neh­mens­be­wer­tung abdecken.

Übersicht zur Berechnung des Firmenwertes nach dem Stuttgarter Verfahren

Schritt 1: Ermitt­lung des Vermö­gens­werts (V)

Zunächst wird der Vermö­gens­wert (V) ermit­telt. Dieser entspricht der Diffe­renz aus dem Gesamt­ver­mö­gen und den Schul­den, ausge­drückt in Prozent des Stamm­ka­pi­tals – basie­rend auf den Vorga­ben aus R 98 ErbStR 2003. Hierzu wird in der Regel die letzte Steuer­bi­lanz heran­ge­zo­gen, wobei zudem Korrek­tu­ren für eventu­el­le Wertver­än­de­run­gen sowie Zwischen­er­geb­nis­se vorge­nom­men werden. Beson­ders wichtig ist die einheit­li­che Bewer­tung von Grund­ver­mö­gen, wobei hier der Grund­be­sitz­wert oder Bedarfs­wert nach § 146 BewG maßgeb­lich ist.

Schritt 2: Ermitt­lung des Ertrags­hun­dert­sat­zes (E)

Im zweiten Schritt wird der Ertrags­hun­dert­satz (E) bestimmt. Dieser Wert bildet ein gewoge­nes arith­me­ti­sches Mittel der kalku­la­to­ri­schen Eigen­ka­pi­tal­ver­zin­sun­gen der letzten drei Geschäfts­jah­re ab, gemäß R 99 ErbStR 2003. Dabei wird das jüngs­te Geschäfts­jahr mit dem Faktor 3, das vorletz­te mit 2 und das dritt­letz­te mit 1 gewich­tet; die Summe wird dann durch 6 geteilt. Ebenso finden Korrek­tu­ren statt, um Sonder­ab­schrei­bun­gen oder einma­li­ge Erträ­ge und Aufwen­dun­gen zu berück­sich­ti­gen. In Fällen, in denen eine enge Bindung an den Gesell­schaf­ter-Geschäfts­füh­rer besteht, werden Abschlä­ge vorgenommen.

Schritt 3: Berech­nung des gemei­nen Werts (X)

Abschlie­ßend berech­net sich der gemei­ne Wert (X) anhand der Formel aus R 100 ErbStR 2003:

X = 0,68 * (V + 5E)

Dieser Wert wird – ausge­drückt in Prozent des Nennka­pi­tals – so verstan­den, dass ein Erwer­ber neben dem reinen Vermö­gens­wert zusätz­lich eine Vergü­tung für erwar­te­te Überge­win­ne, die über die übliche Normal­ren­di­te (etwa 9 %) hinaus­ge­hen, entrich­ten muss. Sollte der Ertrags­hun­dert­satz negativ ausfal­len, wird er in der Berech­nung als Null angesetzt, um einen Verlust­fall abzubilden.

Konkre­tes Rechenbeispiel

Stellen Sie sich vor, ein Unter­neh­men weist ein Nennka­pi­tal von 100 % auf. Nach Anpas­sun­gen aus der letzten Steuer­bi­lanz ermit­telt man einen Vermö­gens­wert (V) von 80 %. Die kalku­la­to­ri­schen Eigen­ka­pi­tal­ver­zin­sun­gen der letzten drei Jahre führen zu einem Ertrags­hun­dert­satz (E) von 2 %. Somit ergibt sich:

  • V = 80 %
  • 5E = 5 * 2 % = 10 %
  • V + 5E = 90 %
  • X = 0,68 * 90 % = 61,2 %

Daraus folgt, dass der gemei­ne Wert des Unter­neh­mens­an­teils 61,2 % des Nennka­pi­tals beträgt – dies verkör­pert die Summe aus dem reinen Vermö­gens­wert und einer Vergü­tung für die erwar­te­ten Übergewinne.

Diese struk­tu­rier­te Berech­nung erlaubt es Steuer­be­hör­den und Fachleu­ten, eine einheit­li­che Basis für die Bewer­tung von Unter­neh­mens­an­tei­len zu schaf­fen, auch wenn die Metho­de ihre fiska­li­sche Prägung klar widerspiegelt.

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Kritik, Abschaf­fung und moder­ne Alternativen

Obwohl das Stutt­gar­ter Verfah­ren über viele Jahre etabliert war, stand es immer wieder in der Kritik und wurde letzt­lich abgeschafft. Bereits im Jahr 2006 sprach das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG, 1 BvL 10/02 vom 7.11.2006) das Verfah­ren als verfas­sungs­wid­rig aus. Die Haupt­kri­tik­punk­te lagen darin, dass der ermit­tel­te Unter­neh­mens­wert häufig weit unter dem tatsäch­li­chen Verkehrs­wert lag und somit nicht dem Gleich­heits­grund­satz sowie dem Leistungs­fä­hig­keits­prin­zip der Besteue­rung entsprach. Diese syste­ma­ti­schen Unter­schrei­tun­gen führten letzt­lich dazu, dass das Verfah­ren im Zuge des Erbschaft­steu­er­re­form­ge­set­zes zum 1. Januar 2009 abgeschafft wurde.

Unter Betriebs­wirt­schaft­lern fand das Verfah­ren ebenfalls wenig Anklang. Es genüg­te den fiska­li­schen Erfor­der­nis­sen, bot jedoch im Einzel­fall keine adäqua­te Bewer­tung. Kriti­ker bemän­gel­ten vor allem die pauscha­lier­ten Annah­men – etwa die fixe Normal­ren­di­te von 9 % und die Beschrän­kung auf einen Zeitraum von ledig­lich fünf Jahren zur Ermitt­lung von Überge­win­nen. Diese starke Betonung des Vermö­gens­werts (Substanz­wert) ließ wenig Raum für die indivi­du­el­le Betrach­tung zukünf­ti­ger Cashflows oder spezi­fi­scher unter­neh­mens­spe­zi­fi­scher Risiken.

Im Vergleich dazu haben sich moder­ne Bewer­tungs­ver­fah­ren etabliert, die den dynami­schen Anfor­de­run­gen der Unter­neh­mens­be­wer­tung besser gerecht werden. Hierzu zählen:

  • Das verein­fach­te Capita­li­sed earnings method (§ 199 BewG), das steuer­lich als Succes­sor Anwen­dung findet und den Durch­schnitts­er­trag kapitalisiert.
  • Das Ertrags­wert­ver­fah­ren nach IDW S1, welches als Standard in der Indus­trie weit verbrei­tet ist und eine zukunfts­ori­en­tier­te Metho­de darstellt.
  • Das Discoun­ted-Cashflow-Verfah­ren (DCF-Metho­de), das inter­na­tio­nal Anerken­nung genießt.
  • The Multi­pli­er method, bei dem Branchen­üb­li­che Fakto­ren (z. B. Umsatz oder EBIT) heran­ge­zo­gen werden.
  • Das Substanz­wert­ver­fah­ren, das eine detail­lier­te Einzel­be­wer­tung der Vermö­gens­wer­te vornimmt.

Diese moder­nen Metho­den bieten nicht nur eine präzi­se­re Abbil­dung des Unter­neh­mens­werts, sondern berück­sich­ti­gen auch zukünf­ti­ge Entwick­lun­gen, die in einer dynami­schen Wirtschaft von entschei­den­der Bedeu­tung sind.

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Heuti­ge Relevanz: Das Stutt­gar­ter Verfah­ren in Gesellschaftsverträgen

Obwohl das Stutt­gar­ter Verfah­ren seit 2009 steuer­lich obsolet ist, findet es in der Praxis weiter­hin Anwen­dung – insbe­son­de­re in älteren Gesell­schafts­ver­trä­gen von GmbHs. Viele dieser Verträ­ge enthal­ten Abfin­dungs­klau­seln, die auf dem Stutt­gar­ter Verfah­ren beruhen. Das Ziel solcher Klauseln ist es, eine einfa­che und vorher­seh­ba­re Metho­de zur Festle­gung der Abfin­dung für ausschei­den­de Gesell­schaf­ter bereitzustellen.

Abfin­dungs­klau­seln in alten GmbH-Satzungen

Die Verwen­dung des Stutt­gar­ter Verfah­rens in Gesell­schafts­ver­trä­gen resul­tiert aus der histo­ri­schen Praxis, bei der bis 2008 dieses Verfah­ren als Standard galt. Selbst wenn es aus steuer­li­chen Gründen abgeschafft wurde, bleiben solche vertrag­li­chen Verein­ba­run­gen zivil­recht­lich in Kraft. Gericht­li­che Entschei­dun­gen, unter anderem von Gerich­ten wie dem OLG Stutt­gart oder OLG Naumburg, haben die grund­sätz­li­che Wirksam­keit dieser Klauseln bestä­tigt – selbst­ver­ständ­lich immer im Rahmen der vertrag­li­chen Freiheit.

Heraus­for­de­run­gen und Risiken

Ein wesent­li­cher Kritik­punkt an der Anwen­dung des Stutt­gar­ter Verfah­rens in Gesell­schafts­ver­trä­gen ist die oft erheb­li­che Diskre­panz zwischen dem ermit­tel­ten Wert und dem tatsäch­li­chen Verkehrs­wert. Diese Abwei­chung kann zu Gesell­schaf­ter­strei­tig­kei­ten führen, sofern der bewer­te­te Wert als unange­mes­sen niedrig empfun­den wird. Eine Korrek­tur des vertrag­lich festge­leg­ten Werts ist nur möglich, wenn eine „erheb­li­che“ Abwei­chung oder gar Sitten­wid­rig­keit vorliegt – was hohe Hürden mit sich bringt.

Empfeh­lun­gen zur Vertragsprüfung

Unter­neh­men, die noch alte Vertrags­klau­seln mit dem Stutt­gar­ter Verfah­ren nutzen, sollten diese regel­mä­ßig prüfen. Es empfiehlt sich, die Klauseln an aktuel­le Bewer­tungs­me­tho­den anzupas­sen, um künfti­gen Strei­tig­kei­ten vorzu­beu­gen und den tatsäch­li­chen Unter­neh­mens­wert adäquat abzubil­den. Hierbei kann die Unter­stüt­zung durch spezia­li­sier­te Rechts­an­wäl­te und Steuer­be­ra­ter helfen, den bestmög­li­chen Weg für alle Gesell­schaf­ter zu finden.

Conclu­si­on

Durch diese detail­lier­te Betrach­tung des Stutt­gar­ter Verfah­rens wird deutlich, wie sich Bewer­tungs­me­tho­den im Laufe der Zeit weiter­ent­wi­ckeln – und warum es gerade für Unternehmer:innen und Nachfol­ge­inter­es­sier­te wichtig ist, stets den aktuells­ten Stand der Technik zu berück­sich­ti­gen. Vertrau­en, Trans­pa­renz und fundier­te Beratung sind dabei essen­zi­ell, um Lebens­wer­ke nachhal­tig in neue Hände zu übergeben.

FAQ zum Stutt­gar­ter Verfahren

Was ist das Stutt­gar­ter Verfah­ren?

Das Stutt­gar­ter Verfah­ren ist eine ehemals weit verbrei­te­te Metho­de zur Bewer­tung von Unter­neh­mens­an­tei­len, die spezi­ell für die steuer­li­che Bewer­tung bei Erbschaft- und Schen­kung­steu­er genutzt wurde.

Ist das Stutt­gar­ter Verfah­ren noch gültig?

Für steuer­li­che Zwecke wurde das Verfah­ren 2009 abgeschafft. Es bleibt aber in älteren Gesell­schafts­ver­trä­gen als vertrag­li­che Regelung bestehen.

Wie wird der Wert nach dem Stutt­gar­ter Verfah­ren berech­net?

Die Berech­nung erfolgt in drei Schrit­ten: Ermitt­lung des Vermö­gens­werts (V), Bestim­mung des Ertrags­hun­dert­sat­zes (E) und abschlie­ßen­de Berech­nung des gemei­nen Werts (X) mittels der Formel X = 0,68 * (V + 5E).

Welche Alter­na­ti­ven gibt es zum Stutt­gar­ter Verfah­ren?

Moder­ne Bewer­tungs­ver­fah­ren umfas­sen das verein­fach­te Ertrags­wert­ver­fah­ren, das IDW S1-Ertrags­wert­ver­fah­ren, die Discoun­ted-Cashflow-Metho­de (DCF), das Multi­pli­ka­tor­ver­fah­ren und das Substanzwertverfahren.

Warum wurde das Stutt­gar­ter Verfah­ren abgeschafft?

Das Verfah­ren wurde als verfas­sungs­wid­rig beurteilt, da es häufig nicht den tatsäch­li­chen Verkehrs­wert wider­spie­gel­te und dadurch gegen grund­le­gen­de Prinzi­pi­en der Besteue­rung verstieß.

Kann das Stutt­gar­ter Verfah­ren noch in Gesell­schafts­ver­trä­gen angewen­det werden?

Ja, sofern es in älteren Verträ­gen veran­kert ist, kann es weiter­hin zivil­recht­lich gültig sein – auch wenn es für steuer­li­che Zwecke nicht mehr Anwen­dung findet.

Was bedeu­tet der „gemei­ne Wert“ im Kontext des Stutt­gar­ter Verfah­rens?

Der gemei­ne Wert bezeich­net den Verkaufs­preis, der im norma­len Geschäfts­ver­kehr bei einer Anteils­über­tra­gung erzielt werden könnte, berech­net unter Berück­sich­ti­gung des reinen Vermö­gens­werts und eines Zuschlags für erwar­te­te Übergewinne.